Die Vortragenden, Helmut Berger und Christian Rudischer, engagieren sich seit vielen Jahren in verschiedenen Arbeitsgruppen bei der Entwicklung von internationalen Normen im Rahmen der ISO. Sie gaben den Zuhörer*innen Einblicke in den Ablauf der Erstellung von ISO-Normen mit lustigen Anekdoten und Hintergrundinfos. Da die Pharmabranche ein gutes Beispiel für die Anwendung von Normen ist, wurde die Thematik anhand eines unterhaltsamen Beipackzettels zum „ISO 215XX-Wirkstoff“ im Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement dargestellt. Hier finden Sie Ihre Leitlinien über die Wirkungen und (un)erwünschten Nebenwirkungen von ISO Normen zusammengefasst:

 

Was ist ISO 215 XX und wofür wird es angewendet?

ISO 215XX enthält als Wirkstoff Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement. Es gehört bei den ISO-Normen zur Untergruppe der Management-Normen und ist nur wirksam bei fachgerechter Anwendung. ISO 215XX wird angewendet zur Behandlung von folgenden Prozessen und/ oder Potenzialen:

 

1. Projektmanagement-Potenziale: das ist z.B. der Fall, wenn innerhalb einer Organisation kein durchgängiges Verständnis von „Projekt“ besteht. Es kann sich um Rollen-, Prozess- oder andere Unklarheiten handeln. Empfohlen wird ÖNORM ISO 21502 – Leitlinien zum Projektmanagement.

Anmerkung: Manche werden sich vielleicht wundern, warum  ISO 21502, und nicht die Nummer 21500. Begonnen hat alles mit der ISO 21500 im Jahr 2007. Da ist das British Standard Institute auf die Idee gekommen, ihren nationalen Projektmanagement-Standard weltweit zu etablieren. Sie haben ihren British Standard 679 ausgeschickt, um Kommentare von den Mitgliedsländern der ISO weltweit einzuholen. Viele Länder gaben ihr Feedback ab, doch die meisten waren gegen diese Norm. Im Herbst 2007 gab es ein erstes internationales Meeting mit 40-50 Teilnehmer*innen. Es wurde eine Woche intensiv diskutiert, aber man konnte sich nicht einigen. Ein Interessenskonflikt war beispielsweise, das manche Länder eine Norm zum Zertifizieren ausarbeiten wollten, die anderen Länder aber bereits Zertifizierungsprogramme hatten. Auch das nächste Treffen ein halbes Jahr später verlief ähnlich. Die Atmosphäre änderte sich erst beim erneuten Treffen nach weiteren sechs Monaten. Nun wurde nicht nur kontrovers, sondern auch miteinander diskutiert. So begann die ISO 21500 Gestalt anzunehmen. Wieder ein halbes Jahr später ist eine weitere Idee aufgepoppt: Es gibt ja nicht nur Projektmanagement, sondern auch Programm- und Portfoliomanagement. Daher sollte es nicht nur eine Norm, sondern mehrere geben. Die Nummer 21501 war allerdings schon vergeben an eine Norm zum Zählen von mikroskopischen Teilchen, so startete man mit der 21502. 

 

2. Programmmanagement-Potenziale: das ist z.B. der Fall, wenn innerhalb einer Organisation nicht klar ist, was überhaupt der Unterschied zwischen einem großen Projekt und einem Programm ist. Empfohlen wird die ÖNORM ISO 21503 – Leitlinien zum Programmmanagement.

Tipp: vor dem Kauf ist es ratsam, genau zu lesen, was die ISO unter Programmen versteht. Für sehr viel von dem, was sich in der Praxis als Programm bezeichnet wird, reicht in Wahrheit die Projektmanagement-Norm aus. Programme nach der Definition der ISO (und bei fast allen anderen Definitionen) liegen dann vor, wenn der/die Programmleiter*in selbst auch dafür verantwortlich ist, dass strategische Unternehmensziele erreicht werden. Wenn etwas nur Programm heißt, weil mehrere Projekte zusammenhängen, oder weil es einfach so viel größer ist als andere Projekte, fängt man mit dieser Norm damit wenig an.

 

3. Portfoliomanagement-Potenziale: das ist z.B. der Fall, wenn innerhalb einer Organisation diskutiert wird, welche Vorbedingungen erfüllt sein müssen, um Projekt-Portfoliomanagement zu implementieren. Empfohlen wird ÖNORM ISO 21504 – Leitlinien zum Portfoliomanagement.

 

4. Governance-Potenziale: das ist z.B. der Fall, wenn innerhalb einer Organisation nicht zwischen Unternehmensgovernance und Projektgovernance unterschieden wird.

Wenn in den Projekten etwas anderes passiert, als in der Stammorganisation, braucht man eine eigene Governance. Die Erfahrung bei der Governance-Norm war, dass es starke länderspezifische Unterschiede über das Projektmanagement-Verständnis gibt. Wenn wir über Projektmanagement reden, hat es für uns immer mit zwischenmenschlichen Beziehungen zu tun. Im amerikanischen Verständnis von Projektmanagement kommen sie nicht so sehr vor. Hier hat man lieber Prozesse und die Dinge, die man quantifizieren kann. Wenn es um das Zwischenmenschliche geht, möchte man nichts davon festhalten.

 

5. Sprachpotenziale: das ist z.B. der Fall, wenn innerhalb einer Organisation unterschiedliche Begriffe für dieselben Dinge verwendet werden. Empfohlen wird in dem Fall die ISO TR 21506. Sie ist bisher nur eine Richtlinie, wird aber demnächst auch als Norm erscheinen.

 

6. Earned-Value-Management-Potenziale: In diesem Fall sollten Sie gut Englisch verstehen, dann werden Sie auch die ISO 21508 Guidance on Earned Value Management verstehen, oder sie besorgen sich ein von pma empfohlenes Buch.

 

7. Work-Breakdown-Structure-Potenziale: Siehe Earned-Value-Management-Probleme, aber ISO 21511. Darin finden sich sämtliche Projects Structures, die man ausarbeiten kann. Sie wird ebenfalls nicht als ÖNORM erscheinen, denn wer diese Normen kaufen und anwenden will, hat vermutlich andere Erwartungen. Literatur zum Thema Work Breakdown Structure gibt es nach Meinung der Vortragenden ausreichend und kostengünstiger. 

 

8. Agile Potenziale: geht man von einem Wirkstoff aus, gibt es schon viele Nahrungsergänzungsmittel, aber noch keine ISO-Norm. Diese sollte eine Adhoc-Gruppe ausarbeiten, die ist jedoch vor etwas über einem Jahr übereingekommen, dem Technical Comitee zu empfehlen, keinen Standard zur Agilität zu machen. Die Begriffe sind zu wenig einheitlich und geklärt, um in einen weltweiten Standard zusammengefasst zu werden.

 

9. Evaluierungspotenziale: die ISO 21513 wird derzeit ausgearbeitet, über die ÖNORM ist noch nicht entschieden.

Dieses Projekt, bei dem Helmut Berger derzeit involviert ist, läuft seit einem Jahr unter chinesischer Führung, denn der Vorschlag zu dieser Norm wurde aus China eingebracht. Da es dort bereits eine Norm zu diesem Thema gibt, war das anfängliche Ziel, sie möglichst deckungsgleich mit der bereits bestehenden zu gestalten. Nun wird kollegial an einem gemeinsamen Dokument gearbeitet, das alle gutheißen.

 

10. Zertifizierungsbedarf: in einigen Ländern hat sich herausgestellt, dass doch Bedarf nach Zertifizierungen nach ISO besteht. Allerdings nicht von Einzelpersonen, sondern von Organisationen. Dazu wurde wieder eine Adhoc-Gruppe gebildet, die AHG13. Sie kämpft derzeit noch mit ISO 9001 Wechselwirkungen. Wenn Sie eine Zertifizierung ihrer Projekte nach ISO anstreben, müssen wir sie noch etwas vertrösten.

Weitere Informationen zu Wechselwirkungen, Nebenwirkungen und Aufbewahrung des ISO 215XX Wirkstoffes können Sie im Beipackzettel im Download-Bereich nachlesen. 

 

 

Downloads und weiterführende Informationen