Ein allgemein kritischer Blick in die Praxis

Als Sozialpsychologin schießt mir aktuell als erstes „Psychologie der Masse“ durch den Kopf. Die große Frage der Politik lautet, wie bekommen wir die Menschen dazu das zu denken und das zu tun, was wir vorgeben? Ganz einfach, psycho-logisch! Wir wissen, dass Massenlenkung stets durch eine plumpe Kombination aus Angst und Misstrauen gegenüber X funktioniert.

Im Fall Corona hat die Politik einen viel eleganteren und unauffälligeren Weg der Einflussnahme gewählt: Die Masse wird hier hauptsächlich auf Basis von Vertrauen gegenüber X und einer „gesunden“ Portion Angst gelenkt. Als Taktik der sozialen Einflussnahme ist dieses Vorgehen allerdings auch nur banale Psycho-Logik.

Faszinierend irrational

Ich bin sicher, dass weltweit sehr viele Psychologen und Forscher, das Geschehen ebenso interessiert beobachten wie ich und, dass auch sie im Corona Fall, wie in einem offenen Lehrbuch der Sozialpsychologie lesen. Der berühmte Mister Spock hätte das aktuelle Geschehen mit „faszinierend“ kommentiert; Sozialpsychologen würden ihn auf „faszinierend irrational“ korrigieren. Ist das Produkt Vertrauen einmal erfolgreich vermarktet und vom „Konsumenten“ allgemein akzeptiert, wird plötzlich auch das Unmögliche möglich.

Vertrauen als hippe Leitlinie?

In Zeiten von Covid-19 ist nicht nur in der Politik, sondern auch in Unternehmen das Thema Vertrauen – Pardon, Misstrauen - aktueller denn je. Einige Führungskräfte entdecken zurzeit ihre kreative Ader, in dem sie Mitarbeiter im Home-Office dazu „motivieren“ sinnlose Listen zu erstellen und anderen Kleinkram zu erledigen, natürlich zusätzlich zu deren Hauptaufgaben. Dies ist Beweis dafür, dass in manchen Unternehmen Vertrauen als inflationäres Modevokabel im Umlauf ist und, flächendeckend als hippe Leitlinie festgehalten, lediglich dabei helfen soll der Welt ein sozial erwünschtes Firmenimage zu verkaufen, sprich als vertrauenswürdig zu gelten. Und damit gilt für viele das Thema auch schon als erledigt.

Fachkundig behandelt oder nicht, was macht das schon für einen Unterschied? Einen signifikanten, wie die Forschung beweist. Paradoxerweise vertrauen Psychologen sehr blauäugig darauf, dass das Wissen auch in der Praxis Anwendung findet. Haben Sie sich schon einmal ernsthaft Gedanken darüber gemacht was Vertrauen eigentlich bedeutet?

Hier mein erster Tipp für die Praxis - gilt übrigens für jedes x-beliebige Thema:

Klären Sie stets die Definitionsfrage

Unter Vertrauen wird sinngemäß die bewusste Entscheidung sich verletzbar zu machen verstanden. Man liefert sich damit einer Person aus und hofft darauf, dass dieses Vertrauen nicht missbraucht wird beziehungsweise geht man mit Vertrauen automatisch auch das Risiko einer Enttäuschung ein. Vertrauen ist ein kognitiver Prozess und daher hochgradig psychologisch.

Vorweg differenzieren und entsprechend präzise kommunizieren

Eine Frage in die Leserrunde: Unterscheiden Sie gedanklich zwischen Vertrauen, Vertrauenswürdigkeit und Misstrauen? Oder werfen sie einfach alles undifferenziert in einen Topf? Letzteres ist der Fall? Daher lautet mein zweiter Tipp: Vorweg differenzieren und entsprechend präzise kommunizieren! Wenn Sie zu Ostern „wirf mir ein Ei zu“ sagen (Sicherheitsabstand!) und das aus Schokolade in Gedanken haben, dann sollten Sie nicht enttäuscht reagieren, wenn Sie ein hart gekochtes zugeworfen bekommen.

Aber bitte mit Qualität

Für den Praxistransfer von Vertrauen reicht eine simple Frage in Richtung Psychologie: „Was kann ich tun, um das Vertrauen (in vorerst mich) zu fördern?“ Es existieren klare Faktoren, die nachweislich in einem (hoch) signifikanten Zusammenhang mit Vertrauen stehen und das (Projekt-) Ergebnis entsprechend positiv beeinflussen. Einer dieser Faktoren heißt „Qualität der Kommunikation“. Das Fazit und zugleich mein dritter Tipp lauten daher: Vertrauen Sie auf 75 Jahre psychologische Forschungserkenntnisse, die jene Evidenzen liefert, die Sie für erfolgreiche Projektarbeit benötigen!

Herzlichst,

Katy Pracher-Hilander 

Wirtschafts-, & Sozialpsychologin

Katayun Pracher-Hilander; Dipl. Psychologin

Katayun Pracher-Hilander ist Dipl. Psychologin. Zu den Eckdaten ihrer Vita sowie zu den Arbeitsschwerpuntken zählen: Studium der der Psychologie an der Hauptuniversität Wien mit den Abschlussschwerpunkten: Arbeits-, Organisations-,  & Wirtschaftspsychologie (AOW), Sozial-, sowie Bildungspsychologie (Bildung/Training/Coaching-Evaluation); Tätigkeitsschwerpunkte in der D-A-CH Region: evidenzbasierte Management-, & Politikberatung, Führungskräfteentwicklung, Hochschullehre, Fachtexte, Vorträge; Gründung des Büros für Angewandte Psychologie in Wirtschaft & Politik (ehemals Büro für Arbeitsweltpsychologie) mit Spezialisierung auf evidenzbasiertes Management und evidenzbasierte Entscheidungsfindung.


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