Man spricht von der aktuellen Gesamtsituation als einem herausfordernden Multikrisenszenario. Können Projektarbeit, Projektmanagement, Projektkompetenz da positive Beiträge zur Bewältigung leisten?

Die Welt ist durch vielfältige Auslöser unsicherer und komplexer geworden: Klimawandel, Corona-Pandemie, gestörte Lieferketten, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und seine Folgen für Energiekosten und Lebensmittelversorgung, aber auch der Generationen-Shift in der Arbeitswelt und vieles mehr. Hohe Volatilität und steigende Komplexität stellen daher heute eher die Regel als die Ausnahme in der Wirtschafts- und Arbeitswelt dar. Vieles was früher projektspezifisch war wie Dynamik, Risiko, unterschiedliche organisatorische Einbindung wird so generell mehr und mehr zum normalen Bestandteil der Berufswelt.

 

Management mutiert allgemein zu einem großen, anspruchsvollen Gesamtprojekt? Früher konnte man eine klare Abgrenzung von Projektmanagement-Tätigkeiten und Linienarbeit anhand der Dynamik treffen.

Es gab auch in Projekten eine klare Zielsetzung und einen detaillierten Plan. Heute ist es überall notwendig, flexibler und agiler zu sein. Entscheidungen müssen schnell getroffen, verschiedene Stakeholder stärker miteinbezogen werden. Projektmanager und -managerinnen sind es gewohnt, flexibel und dynamisch zu arbeiten und mit Unsicherheiten umzugehen. Diese Projektmanagement-Kompetenzen werden nun auch in Linienfunktionen benötigt und sind mittlerweile für jedes Berufsleben wichtig, ganz egal wo man arbeitet.


In welchen Situationen macht sich das besonders bemerkbar?

Viele Organisationen sind von Krisen betroffen und gefordert, ihr Geschäftsmodell, ihre Arbeitsweisen zu verändern. Hier kann die Herangehensweise, die wir aus dem Projektmanagement kennen, sehr gut helfen: Eine positive Einstellung zu Aufgaben, die es zu lösen gilt, oder eine gemeinsame Vision, die man entfachen kann. Auch die Fähigkeit, sich als Team selbst zu organisieren und gemeinsam zu arbeiten ist hilfreich, insbesondere in Situationen, die so schwierig und komplex sind. Wir haben etwa gesehen, dass die Adaption von Organisationen für Homeoffice dort schneller funktioniert hat, wo es bereits Projektorganisation gab, auf die man dabei aufsetzen konnte.

 

Die Arbeitsweise der gesamten Organisation wird sich also dem annähern, was typisch für Projekte ist?

Aufgaben, die man gar nicht machen wollte, wurden früher oft an Projekte ausgelagert. Wenn etwas nicht geklappt hat, war dann kein Linienmanager schuld. Heute sieht man die Notwendigkeit, Dinge in einem zunehmend  unsicheren Rahmen umzusetzen, in dem man auch riskieren muss, dass mal etwas nicht funktioniert. Es gibt gute Beispiele, wo man sehen kann, wie das genutzt wird. Das sind zum einen agile Modelle, die Schnelligkeit und hohe Flexibilität ermöglichen. Das andere sind Startups, die sich vor allem große Unternehmen auch leisten, um so mehr Innovation im eigenen Unternehmen zu fördern. Außerdem entspricht Projektarbeit den Bedürfnissen der jüngeren Generation nach Flexibilität und Abwechslung und gilt damit als die Organisationsform des 21. Jahrhunderts.

 

Auch im Kontext von agiler Führung?

Agiles Arbeiten ist die Antwort auf die steigende Komplexität, die auch durch zunehmende Digitalisierung ausgelöst wurde. Es bedeutet nicht, einfach nur noch schneller zu arbeiten. Agiles Arbeiten ist eine strukturierte Form des gemeinsamen Arbeitens in kurzen Zeiträumen mit regelmäßigen Feedbackschleifen und setzt auf kleine, autonome, selbstorganisierte Teams. Die Rolle der Projektleitung ist die eines Coaches. Agile Leader verfügen über ein Mindset, das die Agilität des Teams unterstützt, kennen Methoden, sind offen für Neues und kommunikativ und können auch große Unsicherheiten aushalten.

 

Dieses Interview erschien zuerst im trend. Edition 08/2022.

Mag. Brigitte Schaden

Brigitte Schaden ist Präsidentin von Projekt Management Austria (pma). Die studierte Versicherungsmathematikerin und Betriebsinformatikerin ist Inhaberin von BSConsulting und als Managementberaterin, Coach, Wirtschaftsmediatorin, Lektorin, tätig. Außerdem ist Brigitte Schaden IPMA® Assessorin, Chair von GAPPS (Global Alliance for the Project Professions), IPMA® Honorary Fellow sowie Vortragende auf Konferenzen in Brasilien, China, Indien, Korea, Südafrika, Australien, Nepal, Panama und in ganz Europa. Die ehemalige IT-Leiterin, Projektmanagerin und -auftraggeberin sowie PMO-Leiterin war außerdem Vizepräsidentin, Präsidentin und Chair der International Project Management Association, Personalleiterin und Organisationsentwicklerin.


Beitrag teilen:

Share on Twitter Share on LinkedIn Share on Xing Share on Facebook